Italien

"Ersinne ein immenses Amphitheater, dass nur die Natur erschaffen kann. Du wirst nicht glauben, dass du eine wirkliche Szenerie betrachtest, sondern eher ein Landschaftsgemälde eines superben Künstlers ..."
Plinio, vor ca. 2000 Jahren, ueber die Landschaft in Umbria und Tuscany
 

Italien sollte man nicht beschreiben, man muss es gesehen haben! Für zwei Monate schlossen uns Landschaften und Städte in ihre wohlgeformten Arme, flüsterten uns ihre lasterhaften Geschichten zu, überschütten uns mit kulinarischen und kunstreichen Gaben. Und wir genossen den Reiz und die Wonne einer neuen Liebe. Ob wir vor den hellen, bizarren Bergspitzen der Dolomiten standen, vor dem perfekten Körper des David, vor der weissen Fassade des Doms in Orvieto, oder inmitten der sinnlichen toskanischen Landschaften, ein übermässiges Gefühl von Freude und Wunder erfüllte unser Bewusstsein. Und denkt man doch an das nahe Ende der leidenschaflichen Beziehung, wird man von plötzlicher Traurigkeit überwältigt. Warum kann es nicht andauern? Wir unterhielten uns oft über ein mögliches Leben in Italien.
Die einzigartige Sicht auf the zerrissenen Gipfel der Dolomiten (links unten) füllte unser Fenster in einer reizenden Pension in Sexten, Südtirol, wo wir uns mit meiner Mutti, Partner Wil und meinem Bruder Götz für zehn Tage Skifahren trafen. Wir probierten die Abfahrten und unterschiedlichen Schneebedingungen - von Matsch bis Pulver - in vier Skigebieten. Nach dem Spass im Schnee wurde in der Baude weitergelacht, getratscht und mit Schnapps angestossen. Unsere Freundin Chris besuchte uns für ein Wochenende. Die frohe Runde (Bild rechts) bewunderte Götz' abendliche Schnappglassbalanceübungen!

Für drei Wochen Sprachbildung zogen wir in der Toskana und der kleinen mittelalterlichen Stadt Lucca ein. Die kürzlich fertiggestellte, urige Wohnung unserer Gastfamilie befand sich in einem der alten Häuser inmitten der reizenden Altstadt, welche von einer vollständig erhaltenen, bis zu dreissig Meter breiten, mit Bäumen bepflanzten Mauer umschlossen wird. Wir verbrachten täglich vier Morgenstunden mit dem Studium des Anfängeritalienisch, und verstanden letztlich recht viel von den langen Monologen unserer Lehrerinnen. Am Nachmittag besuchten wir die Märkte und duftenden Delikatessengeschäfte und kauften frische Waren für unsere Mahlzeiten. Ein fast "normales" Leben ... und eine willkommene Abwechslung in unserem Reiseplan.
Die Möglichkeit, die unterschiedlichsten Menschen zu treffen und sogar Freundschaften zu finden, hat unsere Reise bisher mit besonderen Erfahrungen bereichert. Der längere Aufenthalt in Lucca, sowie die lockere, internationale Atmosphäre einer Sprachschule bot die Gelegenheit, eine grössere Gruppe von interessanten Menschen kennenzulernen. Wunderbare Freundschaften entstanden mit Claire aus Paris und Gladyce aus Portland, USA. Wir vier verbrachten so manchen begeisterten Abend mit feinsten Speisen und Weinen der Toskana, sowie angeregten Gesprächen über Reiseerfahrungen in der ganzen Welt. Wir nahmen Claire mit nach Volterra und San Giminiano, zwei der charmantesten Hügelstadte im Herzen der Toskana, und verbrachten einen Tag mit ihr in den berauschenden Kirchen, Gassen und Museen von Sienna.
Zahlreiche Ausflüge von Lucca brachten uns zu weiteren uralten Hügelstädten wie Cortona und Barga, zu grandiösen Villen mit grossangelegten italienischen Gärten, und zum atemberaubenden schiefen Turm, dem weissen Duomo und Batistero (ein kirchenähnliches Bauwerk für Taufzeremonien) in Pisa. Leider grämten wir uns oft über nasskaltes Wetter. Das berühmte Sonnenlicht der Toskana war uns selten vergönnt, dann aber im richtigen Moment und für die wichtigsten Fotos: Pisa's Schiefer Turm (links), welcher nun endlich in einer sicheren Schräglage permanent befestigt wird, sowie einer der alten Türme in Lucca (rechts).

Fotos unten: Die Teufelsbrücke, römische Architektur in der Nähe von Lucca (links); Sienna's Piazza del Campo (rechts)

Cortona gehört zu den verträumtesten Hügelstädtchen etruskischer Herkunft. Erhabene Teile der von den Etruskern errichteten Mauern umgeben die an einem steilen Abhang angelegte Stadt. Wundervoll erhaltene Steinhäuser und Palazzi (Paläste) drängen sich in den buckligen Gassen und Piazze (Plätzen). Die umliegenden Berghänge werden von Villen und deren Oliven- und Weinterassen besiedelt. Wir beschlossen, für die nächsten zehn Tage nach unserem Sprachkurs in Cortona zu wohnen und von dort Ausflüge in die südliche Toskana und nach Umbria zu unternehmen. In Cortona selbst wurden wir von der Fülle berühmter Gemälde und archäologischer Sammlungen überrascht.

Die sanften Hügelketten leuchteten in frischem Neongrün, wiegende Versammlungen von Mohnblumen grüssten uns entlang der Strassen. Die endlosen Serpentinen krochen von einem Beispiel dichtgedrängter Hügelarchitektur zum nächsten. Die Stadt Pitigliano sitzt auf einem 100 m hohen Felsplateau, die niedrigen Steinhäuser scheinen aus dem gelblichen Felsen herauszuwachsen. Drei ähnlich angelegte Städte, auf vertikalen Felsformationen balancierend, warteten auf uns hinter den nächsten Kurven. Zum Sonnenuntergang erreichten wir Casciano Di Bagni, wo wir genug Zeit für einen Rundgang durch die winzigen Gassen und blühenden Höfe hatten, und dann diesen hügelhochjauchzenden Tag mit erstklassigem Essen und Wein beendeten. Unsere Tagesausflüge nach Gubbio, Assisi und Orvieto eröffneten uns den Reiz der Städte und Landschaft in Umbria. Eine Standseilbahn bringt die Besucher auf den Plateaufelsen von Orvieto, wo alle Wege zum riesigen Domplatz führen. Die Schönheit der weissen Marmorfassade dieses Doms, mit seinen zahlreichen Skulpturen und farbig-goldenen Mosaikflächen, rührte mich zu Tränen.

Die Städtebauer in der Toskana und in Umbria verwendeten die reichen Erträge lokaler Steinbrüche für ihre kühnen Bauvorhaben. Während grosse Kirchen meist im weissen Carrara Marmorkleid erstrahlen, schmücken sich Wohnhäuser und Paläste in rose, graublauen und sandfarbenen Tönen. Jede Stadt stellt künstlerische und architektonische Besonderheiten, individuelle Stadtplanung und Topographie zur Schau.

In der Nähe von Gubbio entdeckten wir das Hotel Castello Cortevecchio, eine mittelalterliche Burg in abgeschiedener Höhe, und beschlossen, dort drei Tage auszuruhen. Das Gourmetrestaurant im Hotel, lange Spaziergänge über die Wiesen und ein gemütliches Bett im Turmzimmer sorgten für Wohlbefinden und die nötige Ruhe vor dem (Kunst)Sturm in Florenz und Bologna.

Fotos: (oben links) Alte Kirche in Cortona; (oben rechts) Palazzo in Gubbio; (unten links) Duomo in Orvieto; (unten rechts) Castello Cortevecchio.

Florenz: Wer noch nicht dort gewesen, plane eine Reise! Wer schon dort gewesen, plane die nächste Reise! Die Wiege der Renaissance und Michelangelos, Wirkungsstätte unzähliger genialer Talente, einschliesslich Leonardo da Vinci, Florenz umfasst eine solche Auswahl an Kunst, Geschichte und Architekturdenkmälern, dass man ein Leben dort verbringen müsste, um sich den Details zu widmen. Über 200 Museen öffnen täglich ihre Türen, die berühmtesten davon können an langen Warteschlangen erkannt werden.

Leider bringen die lauten, schiebenden Touristenmassen auch jede Menge herumliegenden Müll mit sich. Wir haben uns angestellt und mitgedrängelt, und wurden dafür mit den Kunstwundern im Palazzo Vecchio, Uffizi und im Academia Museum, im Duomo und der Medici Kapelle belohnt. Wir bestaunten die Skulpturen von Michelangelo und Donatello, Gemälde von Botticelli, da Vinci, Raphael, Michelangelo und anderen berühmten Malern, das grösste Fresco der Welt in der Kuppel des Duomo. Für moderne Unterhaltung und Abwechslung tanzten wir drei Stunden durch das hervorragende Rockkonzert von The Cure. Florenz verlangt offensichtlich gute Kondition!

Fotos: (oben links) Ponte Vecchio, die bewohnte Brücke; (oben rechts) Die Kuppel des Duomo mit dem grössten Fresco der Welt; (unter links) Michelangelo's David im Accademia Museum; (unten rechts) Palazzo Vecchio.

Aufgrund einer Messe waren wir nicht in Lage, ein Hotelzimmer im Zentrum von Bologna zu finden und mussten 50 km ausserhalb der Stadt nächtigen. Wir verbrachten einen sonnigen Tag mit shopping, fotografieren und Kaffee trinken in den Gassen der Innenstadt. Die weiten Plätze mit hohen Palazzi, eindrucksvollen Kirchen und den zwei schiefen Türmen sprechen von den glorreichen Zeiten dieser Metropole. Museums- und Kirchenbesuche verschoben wir auf unseren nächsten Besuch. Wir hatten ausserdem Karten für Sting's Konzert in Bologna gekauft - ein weiteres ausserordentliches Musikerlebnis.

Die letzten drei italienischen Tage verbrachten wir in Sirmione am Gardasee. Die Balkontüren unseres Zimmers im Hotel Griffone erlaubten zwar einen herrlichen Rundblick über den See, leider wurden Berge und Ufer aber von dickem Nebel versteckt. Die hübsche kleine Stadt, welche wir bei unserem ersten Aufenthalt Ende März als ruhig und erholsam empfunden hatten, wurde nun von lärmenden Touristengruppen überschwemmt. Keine Sicht, keine Sonne, keine Atmosphäre - Italien schien uns höflichst auszuweisen. Und wir freuten uns auf einen Szenenwechsel und das angekündigte herrliche Wetter in Deutschland. Auf der Fahrt durch die noch immer schneebedeckte Gipfelwelt in Österreich begannen wir, die Eindrücke der letzten zwei Monate zu verarbeiten. Und stellten fest, dass wir einen so kleinen Teil Italiens kennengelernt hatten. Wie viele Leben würde man wohl brauchen, um dieses wundersame Land vollständig zu entdecken?

"Die Toskana ist ein Zustand von Anmut. Die Landschaft ist so lieblich angelegt, dass das Auge über die Berge und Täler schweift, ohne über einen einzigen Stein zu stolpern. Die Wellenberge und -täler der rollenden Hügel, die aufschiessenden Zypressen; die Terassen, gefertigt von Generationen, die die Steine mit geschickter Zärtlichkeit zu handhaben wussten; die Felder, geometrisch angeordnet, also ob Zeichner sie gleichermassen für Schönheit und Produktivität entwarfen; die Bastionen der Burgen auf den Hügeln, deren hohe Türme grau-blau und gold-gebräunt zwischen den Bäumen der Wälder stehen; die Luft von solcher Klarheit, dass jedes Erdhäufchen in strahlendem Detail zur Geltung kommt."
Irving Stone in "Michelangelo", eigene Überzetzung