Melbourne Und Umgebung

Zwei Monate ununterbrochenes Reisen begann nun doch etwas an unseren Kräften zu zehren. Zu unserem Glück empfing uns in Melbourne die Gastfreundschaft und das Zuhause unserer Freunde Joanne und Paul. Ich habe Jo vor sechs Jahren während einer Campingreise durch Amerika kennengelernt. Seitdem stehen wir in Briefkontakt und haben immer wieder davon gesprochen, uns in Australien wiederzusehen. Nun wurden wir in derem gemütlichen Haus herzlichst empfangen und fühlten uns sofort heimisch und in bester Gesellschaft. Deren süsse, sechs Monate alte Tochter Holli hat uns von der ersten Minute mit ihrem Lachen und sonnigem Charakter verwöhnt. Wir haben jede Minute mit den drei Hickmans genossen und sind ihnen unsagbar dankbar für Unterkunft, erstklassige Mahlzeiten und deren Auto, welches wir für unsere Ausflüge benutzen durften. Die Hickmans wohnen in einer ausgebauten Werkhalle, welche ausserdem Paul's Fotostudio enthält und genügend Platz für Gäste einräumt. In der ersten Woche in Melbourne haben wir viel geschlafen, gegessen, geschrieben, gequasselt, Wäsche gewaschen ... und ausgiebig mit Holli gepielt. Wir bewunderten ihre tägliche Entwicklung und haben ihr gern stundenlange Aufmerksamkeit geschenkt. Die Hickmans können sicher bezeugen, dass wir für das Elterndasein gerüstet sind!
Nach einer Woche Faulenzen wurde es Zeit, in die Umgebung auszufliegen. Jo's Eltern boten uns ihr Bungalow im Strandort Inverloch an. Aufgefüllt mit neuer Energie fuhren wir also Richtung Süden zur Küste von Victoria. Wir verbrachten die nächsten Tage mit langen Spaziergängen entlang der Steilküste, in welche die Naturkräfte interessante Höhlen und tiefe Einschnitte gemeiselt haben. Lange Abschnitte der Südküste Australiens bestehen aus Sand- oder Kalkstein, welche von Wind und Wasser bearbeitet und in einzigartige Skulpturen und Wandreliefs verwandelt wurden. Leider liessen Wind und Regen auch im Moment keine Ruhe, und die kühlen Temperaturen erlaubten keinerlei Strandaktivitäten. Allerdings konnten wir den ersten Koala in freier Natur entdecken. Eine geringe Zahl dieser drolligen Tiere lebt in Inverloch und ernährt sich von den wenigen Eukalyptusbäumen, die im Ort übrig geblieben sind. Die Begegnung ermutigte uns weiterzusuchen, doch gelang es uns nicht, einen weiteren Bär zu finden. Die bereits geminderte "Einwohnerzahl" der Koalas in Inverloch verringert sich mit jedem gefällten Eucalptusbaum. Koalas erhalten Nahrung und Wasser ausschliesslich von den Blättern dieser Bäume. Die stete Abholzung von Eucalyptuswäldern in Australien bedroht die Existenz dieser harmlosen, niedlichen Tiere.
Wir verbrachten einen Tag in Wilson's Promitory, einem der ersten Nationalparks im Staat Victoria. Diese bergige Granithalbinsel bildet den südlichsten Punkt vom Festland Australiens. Viele kleine Buchten schlängeln sich um die Halbinsel. Einige felsige Inseln ragen in Sichtweite aus den dunklen Wellen. Für eine Tagestour brauchten wir nur noch Sonne und klaren Himmel. Leider brachte der böige Wind immer wieder Regenwolken. Wir wählten mehrere kurze Wanderungen in die Farn- und Eucalyptuswälder, zu einem Hochmoor, und entlang eines klaren Baches, welcher in einer romantischen Bucht im Meer verschwand. Der Strand wurde von riesigen, rundgefeilten Granitfelsen "belagert" - eine ungewöhnliche Kulisse. Der inzwischen pfeifende Wind trieb gefährlich hohe Wellen in die Bucht. Kein Grund zum Verweilen!
Das Wetter wurde nicht strandreif. Und wir beschlossen, nach Melbourne zurückzukehren. Wir hatten Inverloch kaum verlassen, schon schien die Sonne im blauen Himmel. Auf dem Rückweg lag Phillip Island, eine romantische Insel mit einer berühmten Seerobbenkolonie. Die Robben sonnen sich auf einem Felsen in einiger Entfernung vom Strand, ein Videosystem bringt Livebilder ihres Treibens in den Kinosaal. Der Eintrittspreis war uns zu hoch, doch diese Methode erlaubt den Tieren ein geschütztes Privatleben. Wir wanderten entlang der sonnigen Küste und entdeckten eine reiche Anzahl von Fairy Pengiun Nestern. Zwei Jungvögel hatten den Schutz ihres Baus verlassen und warteten wohl auf die Rückkehr der Eltern. Ich hatte die Möglichkeit, die beiden Plusterchen aus der Nähe zu fotografieren. Mit Sicht auf die untergehende Sonne erlaubten wir uns ein feines Abendessen am Strand.
Das sonnige Wetter sollte anhalten. Und wir gingen sofort wieder auf Tour entlang der Great Ocean Road. Diese berühmte Strasse südwestlich von Melbourne gehört sicher zu den schönsten Küstenfahrten der Welt. Die 240 km führen entlang weisser Strände und beeindruckender Steilküsten; hinter jeder Kurve wird man von einer weiteren paradisischen Bucht empfangen. Wir hielten zum Lunch und für Informationen im Strandort Lorne. Dort wurde uns der nahe Nationalpark mit einem sehenswerten Wasserfall empfohlen. Der Höhepunkt der Great Ocean Road nennt sich Port Campbell Nationalpark, in welchem sich die berühmten Zwölf Apostel (ersten drei Bilder) befinden. Dieser Abschnitt der Küstenlandschaft bezaubert den Besucher mit 200 Meter hohen Steilwänden und Unmengen bizarrer Felsen im Wasser. Wir hoffen, diese Bilder können das künstlerische Talent der Natur ( Naturtalent? ) ausreichend belegen:





Wir verbrachten die Nacht inmitten dieser natürlichen Wunder auf einem Zeltplatz am Strand und besuchten die restlichen Aussichtspunkte am nächsten Morgen. Auf der Rückfahrt besichtigten wir den historischen Leuchtturm im Otway Nationalpark. In den dichten Wäldern um die ungepflasterte Parkstrasse entdeckte ich dann einen Koala. In nur wenige Minuten sahen wir drei weitere kauende oder schlafende Tiere in Bäumen direkt an der Strasse. Mit geübtem Blick konnten wir insgesamt achtzehn Koalas finden, darunter zwei Mütter mit winzigen Babies auf dem Rücken. Die Freudenschreie nahmen kein Ende, und ein ganzer Film bezeugt unsere Koalabegegnungen. Am späten Nachmittag fanden wir ein wunderhübsches Bungalow am Strand von Apollo Bay. Der nette Ort und das luftige Zimmer hielten uns für zwei Tage. Ein bisschen Faulenzen, Schreiben, Wäsche waschen, ausschlafen und Zeitung lesen muss auch mal sein.
Am Wochenende entführten uns die Hickmans in den australischen "Busch" in Strathbogie, wo Paul's Familie dieses edle Anwesen betreibt. Jeder echte (männliche!) Australier ist stolz auf seinen Schuppen:

Der vom Umfallen bedrohte Donnerbalken abseits vom Haupthaus wurde leider nicht bildlich festgehalten! Unser Aufenthalt war von rustikaler Natur, hatte aber  seine verfeinerten Momente. Paul ist ein guter Koch und bereitete einen erstklassigen Lammbraten mit Gemüsen im heissen Boden unter dem Lagerfeuer. Mit einer Flasche gutem australischen Rotwein und umgeben von purer Natur - solch' ein Mahl kann das feinste Restaurant nicht inszinieren. Gute Unterhaltung und Desertwein wurden am Lagerfeuer ausgekostet. Am Morgen wanderten wir durch den Busch zum Gipfel des höchsten Berges in Strathbogie. Wir erfreuten uns an der Sicht auf die Bergwelt und weitere Koalas. Die Romantik des primitiven Buschlebens verlor sich bereits nach zwei Tagen. Die drei Damen sehnten sich nach einer Dusche und etwas mehr Sauberkeit. Die kleinen Tierchen in der Zuckerdose konnten mich nicht zum Verweilen überreden ...
In der Woche vor Weihnachten wanderten wir durch die zahlreichen Parks und entlang der Geschäftsstrassen im Zentrum von Melbourne. Alte Strassenbahnen und koloniale Architektur geben der Stadt ihren konservativen Flair. Warmes Wetter, blühende Gärten und Essen im Freien brachten zwar keine Weihnachtsstimmung auf, doch viel gefeiert wurde trotzdem. Die Hickmans hatten 27 Gäste am 25.12.; eine laute, fröhliche Party mit Buffet, lustigen Spielen und vielen süssen Kindern.
Am folgenden Dienstag zog es uns wieder zur Natur. Die Fahrt führte durch eine Weingegend, und wir hielten für einen Besuch des Domain Chandon Weingutes. Die Sektverkostung erlaubte uns, mehrere Flaschen für den Silvesterabend auszuwählen. Wir bezogen den Campingplatz in Mansfield und verbrachten zwei Tage mit Wanderungen in den Australischen Alpen, eine unberüherte Bergwelt mit steilen Felswänden, dichten Regenwäldern und einigen Skigebieten. Am 30.12. erreichten wir den charmanten Gebirgsort Bright in der Nähe des Buffalo Nationalparks. Auf Wanderungen dort mussten wir wohl verzichten, da wir uns am nächsten Tag mit den Hickmans in Inverloch treffen wollten. Wir trafen die kluge Entscheidung, diese Pläne per Anruf zu bestätigen. Die Hickmans hatten sich bereits entschieden, in Melbourne zu bleiben. Das anhaltend kühle Wetter sollte einen Silvesterabend am Strand verhindern. Und wir fassten den spontanen Entschluss, in den Bergen zu verweilen und am nächsten Tag im Buffalo Nationalpark zu wandern. Wir hatten rundum Glück. Obwohl der Urlaubsort fast ausgebucht war, konnte uns das Infozentrum ein Zimmer in einer reizenden Pension im abgeschiedenen Buckland Tal vermitteln. Die 5 km lange, ungepflasterte Einfahrt führte uns durch die Wiesen und Wälder des Grundstückes. Das rustikale Haus bezog Strom vom eigenen Generator und das Wasser aus dem Gebirgsbach. Da konnten uns der Rest der Welt und Y2K Probleme völlig egal sein. Wir waren von purer Natur umgeben. Papageien verschiedener Arten holten sich ihr Futter am Morgen (links im rechten Bild). Sterne, Nebulae und die Milchstrasse überfüllten den tiefschwarzen Sternenhimmel. Verschiedene Nage- und Beuteltiere kündigten regelmässig ihre Nachtgeschäfte an. Hübsche Antikmöbel schmückten unser Zimmer, die Badwände waren mit Wellblech verkleidet (eine urige Idee!) und Frühstück liessen wir uns auf der Terasse mit Blick ins endlose Grün schmecken. Wir hatten unser Jahrtausendparadies gefunden!

Bill kaufte mir sogar ein neues Kleid für den Silvesterabend. Wir fanden ein nettes Restaurant in Bright für den Beginn der Feierlichkeiten und freuten uns bereits über diese rundum glückliche Entscheidung.
Den Silvestertag verbrachten wir mit den Naturwundern im Buffalo Nationalpark: traumhafte Wasserfälle, Granit"pflastersteine" in Übergrösse, einzigartige Landschaften, enge Schlupflöcher zwischen den gestapelten Felsbrocken, endlose Sicht auf die Alpen von den Gipfeln, ungewöhnliche Vegetation, sauberste Luft ...


Während unseres Abendessens kam der Ort Bright so richtig Stimmung. Die Band spielte lautstark, die Leute tanzten in den Strassen. Nach dem Silvesterschmaus wanderten wir über den Marktplatz, wo sich die gesamte Bevölkerung zur Party eingefunden hatte. Wir kehrten gegen elf in der Pension ein und verbrachten den Jahreswechsel vor dem Kamin mit gutem Sekt und Gedanken an Familie und Freunde. Zwischen Erinnerungen an vergangene Zeiten erhoben wir das Glass und tranken auf unser unglaubliches Glück und die fantastischen Erlebnisse der letzten und kommenden Monate. Das neue Jahrtausend hätte für uns nicht romantischer und zufriedener beginnen können!
Am Neujahrstag fuhren wir über die höchsten Pässe der Alpen und weiter nach Süden zum Strandort Lake Entrance. Die Dünen entlang dieses Küstengebietes werden von mehreren flachen Salzwasserseen unterbrochen. Sämtliche Unterkünfte schienen ausgebucht. Ein winziger Fleck Rasen reichte dann doch für unser Zelt. Die letzte Flasche Sekt verdiente ein ebenso schmackhaftes Abendessen. Am sonnigen nächsten Morgen haben wir uns ein Segelboot ausgeliehen und die günstigen Winde in der Lagune genutzt.
Unsere australische "Expedition" ging nun viel zu schnell ihrem Ende entgegen. Die letzten drei Tage in Melbourne verbrachten wir mit Besorgungen und Vorbereitungen für die nächsten Abenteuer. Natürlich genossen wir weitere angeregte Stunden mit unseren Gastgebern und der kleinen Holli. Am letzten Abend luden wir Jo und Paul zum Abschiedsessen ein. Die Beiden brachten uns sogar zu unserem Flug um 1.00 Uhr! Der Abschied fiel uns allen schwer. Wir waren unendlich dankbar für die wundervollen Wochen in Melbourne. Die ganze Familie hatte uns in ihre Arme genommen. Australien hat uns mit liebevollen Menschen, unvergesslichen Eindrücken, erstklassigem Essen und wunderschöner Natur verwöhnt. Wir werden das Land Down Under auf alle Fälle bald wieder besuchen!