Rom

So mancher nannte Rom den Sündenpfuhl Europas. Andere berichteten von ihrer verzaubernden Sinnlichkeit. Rom kann enttäuschen oder entzücken, ganz nach den Launen einer verlockenden, mysteriösen Grande Dame. Teils verruchte, teils blühende Zeiten formten ihre komplexe Persönlichkeit. Im Alter von über 3000 Jahren kann sie lebhafte, lebensnahe Geschichten erzählen: vom brausenden Leben in römischem Prunk, von den Gewalttaten barbarischer Armeen, von selbstherrlichen Päpsten und religiöser Dekandenz. In jeder Kirche und Halle, jedem Palast und Tempel verstecken sich ihre lasterhaften Geheimnisse. Und wer sich Rom ehrfürchtig nähert, kann ein eindringliches, belehrendes Flüstern hören.

Roms ertaunliche, verwirrende Geschichte offenbart sich in einer verblüffenden Unordnung von antiken und modernen Bauwerken. Die wenigen Ruinen römischer Baukunst bestärkten unser Interesse an dieser faszinierenden, oft grausamen Zivilisation und ihren städtebaulichen Erfindungen. Die Stimmen der grossen Oratoren scheinen durch die Mauern und Säulen des Forums (Foto ganz oben) zu hallen.

Der Anblick von Triumphbögen und Stadien lässt Siegeszüge und lärmende Mengen vorbeiziehen. Noch heute ehren die Einwohner Roms ihren Heerführer Julius Caesar mit Blumen auf seinem vermeintlichen Grab. Im Inneren des mächtigen Kolosseums (Foto links) scheinen Gladiatoren aufzuerstehen, brüllen verwundete Löwen, angefeuert vom Schrei der Masse. Die zahlreichen Springbrunnen in jeder Nische der Stadt werden noch heute von römischen Aquadukten gespeist. Die vergewaltigten Mauern der einst gigantischen Paläste auf dem Palatin Hügel ruhen nun in Frieden unter schützenden Schirmkiefern.

Plündernde Armeen raubten Roms marmorne, reich verzierte Pracht. Sie verlor ihre Einwohner, Diktatoren, ihre strategische und politische Bedeutung. Die mächtige Roma geriet in Vergessenheit. Doch bald hielt die römisch-katholische Kirche ihren pompösen Einzug und beschloss die Wiedergeburt einstiger Grösse. Der Abbau antiker Tempel und Paläste zur Gewinnung wertvoller Baumaterialien wurde unter Anweisung der Päpste fortgeführt.

Die wenigen erhaltenen Tempel, wie der Tempel der Faustina (Foto rechts) und der Pantheon, verdanken ihr glückliches Schicksal dem Umbau zu Kirchen unter Nutzung der vorhandenen antiken Bauelemente. Die Erbauung von Roms Kirchen, Palästen und Villen unter geistlicher Herrschaft, sowie sämtliche Kunstwerke und Fresken in ihrem Inneren sollten die Macht der Kirche und ihres päpstlichen Oberhauptes mit Glanz und Gloria zum Ausdruck bringen. Die Habgier und Arroganz der Kirche führte zur Ansammlung von enormen Reichtümern, Kunstschätzen und architektonischen Meisterwerken. Die Museen und Kirchen im Vatikan, der Schatzkammer des kirchlichen Hofes, präsentieren nun stolz die geplünderten Juwelen.

Doch wir kamen nicht nach Rom, um die Methoden ihrer Liebhaber und Förderer zu verurteilen. So manche politische und religiöse Machenschaft veränderte Roms Anlitz zu ihrem Vorteil. Mächtige Päpste und Kardinäle, reicher Adel und verwöhnte Prinzen förderten die Verbreitung der Renaissance und holten eine unerreichte Auswahl an feinsten Künstlern und Baumeistern nach Rom. Ihre Namen versprechen Genie: Michelangelo, Raphael, Botticelli, Ghirlandio, Fra Angelico, Caravaggio, Leonard da Vinci, Bernini, Bramante. Bekannte Palazzi, Villen, Kirchen, Plätze und Treppen entstanden nach ihren begnadeten Entwürfen, unter ihrer weitsichtigen Anleitung, durch ihrer kunstfertigen Hände Arbeit.

Die bedeutendsten Beispiele ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit findet man im St. Peters Dom und Vatikan Palast. Letzterer enthält heute das Vatikan Museum, zu welchem die früheren Wohnräume der Päpste, die Sixtinische Kapelle, eine Bibliothek und zahlreiche Ausstellungsräume gehören. Die Sammlungen antiker Kunst werden durch Bramantes fantastischen Wendelaufgang verbunden (Foto oben links). Am Ausgang wartet das ebenso verblüffende Treppendesign von Guiseppe Momo (Foto oben rechts). Raphael und Gehilfen dekorierten die Gemächer von Papst Julius II. mit lebensgetreuen, bewegten Fresken (unten links).

Zu den berühmtesten Werken antiker Skulptur gehört der Laocoön (unten rechts). Den kaum überschaubaren Höhepunkt bilden die in restaurierter Farbenpracht erstrahlenden Fresken Michelangelos und berühmter Renaissance Meister in der Sixtinischen Kapelle. Welch' übermenschliche Leistungen! Der St. Peters Dom vereint die Höchstleistungen seiner Architekten Bramante, Raphael, Michelangelo and Bernini. Jedoch scheint die Arbeit Berninis allgegenwärtig und von grösstem Einfluss auf den harmonischen Gesamteindruck dieses gigantischen Bauwerkes. Bernini entwarf nicht nur den riesigen Baldacchino und Altar, schuf die Skulpturen für verschiedene Grabmonumente und dekorative Elemente, er war ebenfalls verantwortlich für die Gestaltung des ovalen Platzes vor der Kirche, eingeschlossen von vier enormen Säulengängen.

Roms reichhaltiges Angbot an überladenen Kirchen erlaubt ein Intensivstudium sämtlicher Baustile der Neuzeit und der bedeutendsten Künstler Italiens. Hinter romanischen, Renaissance, barocken und neoklassischen Fassaden bestaunten wir unter anderem Mosaike aus dem 5. Jahrhundert, Berninis realistische Skulpturen, Caravaggios fesselnde Gemälde und wändefüllende Fresken. Ein jedes Gotteshaus hat Museumwert.

Wir suchten nun gezielt nach Berninis Werken und bewunderten seinen immensen Beiträge zum heutigen Stadtbild von Rom. Neben seinen Arbeiten im St. Peters Dom fanden wir etliche Springbrunnen, Treppen, eine komplete Kirche und andere öffentliche Gebäude. Vier seiner bekanntesten Skulpturen stehen im Museum Villa Borghese. Diese scheinbar von innen leuchtenden Plastiken aus weissem Marmor vereinen Beweglichkeit, Spannung, Emotionen, perfekte Proportionen und fein polierte Oberflächen und demonstrieren die Ausdrucksmöglichkeiten überragender Bildhauertechnik (Foto rechts: Berninis "Apollo und Daphne").

Den wahren Reiz Roms entdeckt man beim Spaziergang durch die sauberen, belebten Strassen der unterschiedlichen authentischen Wohnviertel. In der eleganten Gegend nahe der Spanischen Treppe locken die feinsten Geschäfte und Restaurants. Im blühenden Park um die Villa Borghese findet man Schatten unter den originellen Schirmkiefern. Am Ufer des Tibers fanden wir einen betagten Eisstand, welcher bunte Drinks, gemixt aus geschabtem Eis, unterschiedlichen Sirups und Früchten, anbietet. Eine willkommene Abkühlung nach acht Stunden auf dem heissen Pflaster!

Die unzählbaren Springbrunnen und dekorativen Wasserhähne bieten einen Platz zum Ausruhen und servieren trinkbares, erfrischendes Wasser. Auf jedem Platz, in vielen versteckten Ecken und Nischen sprudelt eine scheinbar unerschöpfliche Menge Wasser aus den Mündern der originellsten Figuren, Wassergötter, Seejungfrauen und Meereskreaturen. In den Terrassengärten der Villa d'Este im Vorort Tivoli sprudeln hunderte Fontänen in den verschiedensten Brunnen- und Beckenanlagen.

Wenn uns die Hitze (23 Tage ohne eine Wolke am Himmel!) und die langen Fussmärsche völlig erschöpft hatten, verbrachten wir einen faulen Tag am Strand oder mit Schwimmen und Segeln auf einem Kratersee. Wir hatten zuerst ein Hotel im Strandort Lido gewählt, zogen dann auf einen Campingplatz am Lago Bracciano um. Beide "Wohnorte" lagen eine kurze, angenehme S-Bahnreise vom Stadtzentrum entfernt.

Rom empfing uns in ihrem Festtagskleid. Zum 2000. Geburtstag von Jesus wurden Kirchen und Museen restauriert, Fassaden aufgeputzt, die Stadt gesäubert und geschmückt. Roms Gastlichkeit überrachte und begeisterte uns. Tag für Tag lockte sie uns mit ihrer göttlichen Schönheit, ihren zahllosen Kunstwerken, in ihre charmanten Viertel, gemütlichen Restaurants und abwechslungreichen Landschaften. Und wir haben uns verführen, mit Superlativen verwöhnen lassen. Und uns dabei Hals über Kopf verliebt!

Oben links: Castel Sant' Angelo, Wohnung des Papstes, rechts: Fontana di Trevi, Unten links: Villa d'Este; rechts: Petersplatz und Kirche.