Der Norden Spaniens empfing uns mit hässlicher, moderner Architektur in grauen, dicht bebauten Städten entlang der Atlantikküste. Vergebens suchten wir nach einem unberührten, gemütlichen Fischerdorf an den reizenden Buchten, welche die steile, beeindruckende Küstenlandschaft unterbrechen. Ein dristes Willkommen boten die rauchenden Schornsteine und riesigen Fabrikhallen bei der Einfahrt in Bilbao. Beim Überqueren der Brücke zum Stadtzentrum wird man dann von einem ungewöhnlichen Anblick überrascht: Wie ein riesiges, glänzendes Schiff auf dunklen Wellen präsentiert sich das Bilbao Guggenheim Museum (Foto ganz oben).
Bilbao's Politiker und Städteplaner erkauften sich den Standort für dieses architektonische Meisterwerk für den Grossteil der Bausumme: einhundert Millionen Dollar. Die Errichtung des Museums gilt als Auslöser für die insgesamte Verschönerung der Stadt, die damit ihren Ruf als Industriestandort verlieren, internationale Anerkennung als Kunststadt erhalten und Touristen locken soll.
Der amerikanische Architekt des Museums, Frank O. Gehry, begeistert sich für die Anatomie der Fische - eine wesentliche Inspiration für die kurvenreichen, sich windenden, schlüpfrigen Formen dieses futuristischen Gebäudes. Gehry bediente sich ausserdem modernster Bautechnologien und Materialien, um das fliessende, verblüffende Design in vorgegebenem Zeitraum und Budget zu realisieren. Sein Team experimentierte über ein Jahr, nur um die perfekte Titanlegierung für die dünnen, schuppenartigen Metallflächen der Aussenverkleidung zu entwickeln. Modernste Computerprogramme übernahmen die Steuerung der Roboter, welche die Kalksteinplatten für weitere Wand- und Säulenflächen bearbeiteten. Da es sich im gesamten Komplex ausschliesslich um gekrümmte Flächen handelt, besitzt jede Platte andere Abmessungen. Spezielle Filterscheiben errichten die Wände des hohen, lichtdurchtränkten zentralen Atriums. Ein Aufenthalt in Bilbao und Besuch dieses Museums war nun unumgänglich.
Die geniale Struktur des Gebäudes überwältigt die teilweise fragwürdige Qualität der modernen Kunst in den Gallerien. Wir konzentrierten uns auf die ausführlichen Informationen über die Auswahl des Architekten, seine Vision und resultierenden Arbeitsmethoden (meist Zitate des Meisters) im Rahmen unserer Audioführung. Die Kombination von Titan, Glass und Kalkstein, von einfachen, aber ungewöhnlichen Formen erzielt eine gleichzeitig klassische und moderne Atmosphäre. Sämtliche Gallerien ordnen sich um die riesige Haupthalle, in welche man nach angestrengtem Betrachten für einen grandiösen Blick, Licht, Luft und Kunstpause zurückkehrt. Ein neuartiges, erholsames Ambiente für den totalen Kunstgenuss! Vor dem Museum steht ein weiteres faszinierendes Beispiel moderner Kunst. Jeff Koons' Installation "The Puppy" (Das Hündchen, Foto links) misst 15 Meter Höhe und besteht aus 60.000, zum Zeitpunkt unseres Besuches blühenden Pflanzen.
In San Vincente de la Barquera fanden wir dann doch das verträumte Städtchen am Meer (Fotos unten). Grüne Hügel säumen die Sichel des weissen Strandes. Dessen Breite verdoppelt sich während Ebbe. Dann spielen Kinder in den kleinen Pools, die sich um einzelne Felsbrocken im Sand bilden. Wir unternahmen lange, windige Spaziergänge, verbunden mit ein paar Runden Walzer im glatten Sand. Eine enge Wasserstrasse verbindet die offene See mit einer seichten Bucht, welche von einem Fluss und Flutwasser gefüllt wird. Vom Balkon unseres sonnigen Hotelzimmers genossen wir den weiten Blick über die Bucht, den Strand und die Wellen des Ozeans. Unerwartete kulinarische Genüsse wurden uns im Restaurant direkt am Hafeneingang (rotes Haus im linken Foto) serviert. Auf der sonnigen Terrasse bediente uns ein charmenter Kellner, servierte mir feinsten Spargel, darauf dünne Scheiben gegrillter Räucherlachs und eine cremige Sauce, Bill ein butterzartes Steak, gefolgt von kreativen Desserts, dazu eine gute Flasche spanischen Wein. Wir genossen jede Minute in dieser friedlichen, natürlichen Umgebung!
Neben der winzigen Strasse auf dem Weg zum Gebirge Picos de Europa entdeckten wir eine vergessene römische Brücke (Foto unten rechts) in perfektem Zustand. Im charmanten Gebirgsdorf Arenas de Cabrales bezogen wir ein hübsches Hotelzimmer, um am nächsten Tag einen berühmten Weg durch eine der tiefen Schluchten in diesem fantastischen Gebirge zu bewandern (Foto links). Die siebenstündige Tour begann mit einem steilen Anstieg, welcher uns in mittlere Höhe, ca. 300m über dem Flüsschen in der Tiefe brachte. Der Wanderweg führte teilweise über winzige Brücken oder durch höhlenartige Tunnel, meist aber am steilen Grat enlang. Herrlichstes Wetter erlaubte ergreifende Sicht auf die rauhen, steilen Bergwände und bizarren Picos (Gipfel). Der sprudelnde Bach in weiter Tiefe sorgte für entsprechende musikalische Begleitung.
Eine riesige Kathedrale erhebt sich über dem vermeintlichen Grab des Apostels Johannes und den mittelalterlichen Strassen in Santiago de Compostela (Foto rechts). Seit 800 Jahren absolvieren Gläubige den Fussmarsch entlang des legendären, 900 km langen Pilgerpfades Camino de Santiago, um dann diese heilige Stätte gereinigt und gepeinigt zu betreten. Die Kathedrale erhält ihren architektonischen Reiz durch vier verschiedenen Fassaden aus unterschiedlichen Epochen. Die hübschen Häuschen in den winzigen Gassen der Altstadt veranschaulichen den spanischen Baustil des Mittelalters. Geschmackvolle Geschäfte und Restaurants laden zum Verweilen ein.
Uns zog es aber weiter gen Süden. Welch' eine feine Sache, ohne Wartezeiten und Grenzkontrollen ins nächste Land einzureisen! Eine Autofähre setzte uns nach Portugal über. Vergeblich suchten wir nach den einsamen, romantischen Fischerdörfern an der portugiesischen Küste. Dafür entschädigte uns ein ruhiger Zeltplatz unter schattenspendenden Schirmkiefern mit Blick auf den Atlantik. Der nahe Strandort bot eine ungepflegte Ansammlung von hässlichen Häusern und schmutzigen Strassen, der Strand selbst wurde ebenso von Abfall bedeckt. Die Stadt Porto enttäuschte uns gleichermassen, mit Ausnahme der Portweinverkostungen in den einzelnen Fasslagerhäusern und Weinkellern der Hersteller. Der süffige Geschmack dieses edlen, schweren Tropfens entsteht durch die Zugabe von Brandy und langer Lagerung in Eichenfässern.
Unsere Erwartungen für Portugal beinhalteten weder Industriegebiete und moderne Wohnsiedlungen, noch verkommene Stadtzentren und müllhaldige Strassen. Leider bot sich der Anblick unschöner oder baufälliger Architektur und eines Müllverwertungsproblems im gesamten Land. Doch versteckte Ausnahmen bestätigen die offensichtliche Regel. Uns wir zogen aus, um Erstere zu finden. Die lehrreichen Touren in den Portweinlagern hatten uns das Weinanbaugebiet entlang des Flusses Duoro vorgestellt. Unser Führer bei Sandeman schlug den kürzesten Weg dorthin über eine Autobahn vor. Der Zeltplatzwart legte uns die längere Tour entlang des Flusses ans Herz. Wir entschieden uns für letztere Variante, und verbrachten sieben Stunden mit einer frustrierenden Fahrt durch bergige Gegenden auf durchlöchertern, einspurigen Strassen, welche uns ohne jegliche Beschilderung mehrfach in die Irre führten. Doch dafür wurden wir mit der Einkehr ins Paradies verwöhnt!
Völlig erschöpft erreichten wir ein unscheinbares Städtchen inmitten steiler Weinberge. Und hofften auf angenehme Nachtruhe im first-class Vintage Hotel. Komplett ausgebucht! Doch der nette Herr an der Rezeption bot uns eine Alternative an und entsand uns zu einer Pension in einem winzigen, hochgelegenen Weindorf. Nach zwanzig Minuten Auffahrt durch uralte Weinterrassen nach Chanceleiros betraten wir eine luxuriöse Villa, Besitz einer reichen deutschen Familie! Hinter dem prachtvollen Haupthaus eröffnet sich ein blühender Garten mit Olivenbäumchen, Springbrunnen und einem Swimmingpool, um welchen sich sechs kleinere Steinhäuser mit neun geschmackvollen Zimmern, eine offene Bar und überdachte Couchecken anordnen. Auf den unteren Terrassen des Grundstückes findet man einen Tennisplatz, Whirlpool und eine Sqashhalle. Der Blick in jede Richtung empfängt des ruhige Grün der schwungvollen Berge, garniert mit den strengen Linien der Weinterrassen (Fotos unten). Überwältigt von solch' unerwarteter, harmonischer Schönheit (zu unbegreiflich günstigem Preis!) beschlossen wir ohne Zögern, dieses Märchenland für zwei Nächte und einen ganzen Tag zu geniessen.
Am Abend wurde uns von Gastgeberin Adelaide (seit 27 Jahren Haushälterin und gute Seele der Familie) ein vorzügliches Mahl serviert. Ein riesiger oranger Mond stieg über den Berg. Am grossen Tisch auf der Veranda der Villa trafen wir eine interessante Gruppe englischsprechender Gäste, und unterhielten uns, assen und tranken viel Wein und Portwein bis 2:00 Uhr. Eine unvergessliche Nacht! Den Tag verbrachten wir im und am Pool, entspannt und schwärmend. An diesem Abend speisten wir mit Adelaide, hörten verzückt ihren Geschichten zu. Und fühlten uns fast wie zu Hause! Wir hoffen, in naher Zukunft eine Gruppe von Freunden und Familie zusammenzublasen und alle neun Zimmer während der Weinernte zu buchen. Die Trauben werden in dieser Gegend noch ausschliesslich mit den Füssen getreten, wozu Touristen gern eingeladen werden. Also, Bewerbungen werden bereits entgegengenommen!
Für die Besichtigung der Innenstadt Lissabons bot es sich an, in der nahen Kleinstadt Sintra zu wohnen und mit der S-Bahn zu verkehren. Die bewaldeten Hügel um Sintra wurden als Standort für einige sehenswerte Burgen und Paläste gewählt. Im Vergleich zu diesem recht sauberen, hübsch angelegten, historischen Vorort stehen die endlosen, tristen Neubaugebiete in den Randgebieten von Portugals Hauptstadt. Grossflächige Strassenbauprojekte zerreissen die einst sicher liebliche Hügellandschaft. Unsere Tour der wenigen Sehenswürdigkeiten begann im Vorort Belem, wo sich das Mosteiro dos Jeronimos, ein beeindruckendes Kloster mit stattlicher Kirche befindet. Nur wenige Schritte entfernt kann man die Torre de Belem, eine alte Hafenfestung, und das Padrao dos Descobrimentos, ein gigantisches Denkmal zu Ehren von Prinz Heinrich dem Navigator, bewundern.
Am nächsten Tag wanderten wir durch die alten Viertel der Innenstadt, besuchten einige Kirchen, suchten nach authentischem Flair. Die enge, historische Altstadt soll nun vor dem Verfall gerettet werden. Einige Häuser wurden bereits rekonstruiert, doch das Ausmass an verkommener Bausubstanz scheint die geldlichen Mittel zu übersteigen. Bauschutt und Müll sammeln sich in den schmalen, steilen Gassen. Wir verliessen Lissabon in der Hoffnung, dass die finanzielle Unterstützung der EU zum Ausbau der portugiesischen Wirtschaft und dieser Stadt beitragen kann. Die herrliche Lage am weiten Hafen und der restaurierte Charme eines geschlossenen historischen Stadtkerns könnte Lissabon zum Ruf einer begehrten europäischen Metropole verhelfen.
Oben links: Torre de Belem, rechtst: in Lissabon's Zentrum. Unten links: Mosteiro dos Jeronimos, rechts: Padrao dos Descobrimentos
Der sehenwerteste Palast in Portugal befindet sich in Mafra (unten links). Der frontale Flügel beinhaltet eine gewaltige Kirche, dessen Dimensionen, Kuppel und Ausgestaltung dem St. Peter's Dom in Rom nacheifern sollen. Überdimensionale Marmorstatuen stehen in den Nischen der Hauptfassade und Loggie, sowie im Hauptschiff und in den reich verzierten Seitenkapellen im Inneren. Wände und Säulen sind mit feinstem Marmor jeder Farbvariation verkleidet. Die sechs Orgeln werden im Moment restauriert, um im Jahr 2006 wieder die eigens für sie komponierten Werke zu spielen. Die endlosen Gemächer des königlichen Palasts erinnern an den Pomp von Versailles und beinhalten unter anderem eine wundervolle Bibliothek mit 38.000 Büchern aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
In Sagres, der südwestlichsten Spitze Europas, weht ein unbarmherziger Wind über die karge, baumarme Klippenlandschaft (unten rechts). Hier gründete Prinz Heinrich der Navigator seine berühmte Flottenakademie, welche zur führenden Position Portugals im Zeitalter der grossen Entdeckungsreisen beitragen sollte. Zwischen den steilen Felsen verstecken sich einige der schönsten weissen Bilderbuchstrände der Algarve. Die verbrannten Landschaften und aufgeheizten Städte Südspaniens boten allerdings wenig Anreiz zum Verweilen. Wir entschieden uns für schnellste Auswanderung und die Weiterfahrt nach Rom. Den Süden Spaniens heben wir uns für eine Reise im Frühling auf!
Kamen wir nach Iberia mit zu hohen Erwartungen? Haben uns die Eindrücke der letzten Monate zu sehr verwöhnt? Versprechen Reiseführer nicht verschlafene, weisse Dörfer; saubere, romantische Städte; die ruhige Ecke Europas ohne Industrie, Luftverschmutzung und dichte Bevölkerung? Der Glauben an solch' idyllische Beschreibungen liess wenig Spielraum für düstere Realität. Doch zwischen trostlosen Szenen modernen Lebens entdeckten wir sinnliche Oasen, architektonische Glanzleistungen und seltene Schönheit. Ausdauer, Neugierde und pures Glück besorgten uns wertvolle Überraschungen - entscheidende Gründe für unsere beständige Reiselust!